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Harr/Tauschringdreieck

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Titel: Das Tauschringdreieck

Autor: Harald Friz (Berlin)

Kommentare, Korrekturen und Ergänzungsvorschläge bitte nur auf der Diskussionsseite.

Die deutsche Tauschringlandschaft ist so groß und bunt, dass sich kaum einer zurecht findet. Ich würde gerne eine Landkarte zeichnen. Nur was wäre dafür ein geeignetes Koordinatensystem?

Das Dreieck

Eine wertvolle Anregung fand ich im Tauschringhandbuch Ohne Moos geht's los aus dem Jahr 1999. Stefan Purwin (damals Kreuzberger Tauschring) beschreibt auf S. 21 das Verhältnis von bezahlter Erwerbsarbeit, Tausch und ehrenamtlicher Arbeit als "Dreieck". Ihm ging es darum, Tauschringe nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zur Freiwilligenarbeit zu begreifen. Tauschringe seien eine "zusätzliche Arbeitsform zwischen unentgeltlicher und bezahlter Arbeit".

Ich möchte hier diese Überlegung erweitern und vertiefen. Der erste Schritt ist, Tauschringe nicht als eine Zwischenform zu begreifen, sondern tatsächlich ein "Dreieck" aufzuspannen:

Tauschringdreieck-leer.png

An der Spitze steht die bezahlte Erwerbstätigkeit als abhängige Beschäftigte oder Selbständige. Rechts unten stehen unentgeltliche Tätigkeiten, wie Freiwilligendienst oder Ehrenamt. Links unten steht der Tauschring. Ich verwende hier den Begriff "Tätigkeit" statt "Arbeit", weil es hier nicht um Arbeit als abstraktes und ideologisch überfrachtetes Konzept geht. Ich unterscheide auch nicht nach Kategorien wie produktiver und reproduktiver Arbeit. Hier geht es ganz einfach nur darum, dass jemand für einen anderen Menschen tätig ist und dafür im Tausch eine irgendwie geartete Vergütung erhält.

Beim Extremfall Ehrenamt kann es bedeuten, dass der Tätige überhaupt nichts kriegt, ja vielleicht sogar noch draufzahlen muss. Bei der Erwerbsarbeit wird der Tätige (hoffentlich) so gut bezahlt, dass er seine eigene Existenz und die seiner Angehörigen sichern kann. Beim Tauschring passiert etwas anderes.

Die drei Achsen

Wenn die drei Punkte ein Dreieck aufspannen, was bedeuten dann die Achsen?

Tauschringdreieck-Achsen.png

Am einfachsten ist wohl die Achse zwischen unentgeltlicher und bezahlter Tätigkeit. Die eine Tätigkeit wird bezahlt, die andere nicht. Interessant ist hier aber, dass es für die Höhe der Bezahlung ein ganzes Spektrum gibt. Manche Ehrenamtliche bekommen durchaus eine Aufwandsentschädigung oder Sachleistungen wie Weiterbildungen. Manche Erwerbstätige werden so schlecht bezahlt, dass es für's Leben nicht reicht. Manche zahlen drauf, manche erhalten mehr Geld als sie jemals ausgeben können.

Die Achse zwischen Tauschring und Erwerbstätigkeit unterscheidet sich meines Erachtens durch den objektiven Wert der Bezahlung. Eine Bezahlung ist nur soviel wert, wie das, was man dafür kaufen kann. Im Idealfall erhält der Tätige seine Bezahlung in Form einer stabilen, (fast) weltweit akzeptierten, frei konvertierbaren gesetzlichen Währung wie Euro oder Dollar. Dieses Geld wird überall gerne gesehen. Dafür lässt sich (fast) alles kaufen. Am anderen Ende des Spektrums sind die Tauschwährungen von kleinen eingeschlafenen Tauschringen, wo nichts brauchbares angeboten wird. Hier ist die Höhe eines Guthaben oder einer Bezahlung fast bedeutungslos, weil sich ohnehin nichts dafür kaufen lässt. Auch hier gibt es ein Spektrum. Regiogeld bietet nur wenige Einschränkungen gegenüber dem Euro. Bei sehr großen oder sehr aktiven Tauschringen könnte sich genug Auswahl finden, dass sich mit der Tauschwährung doch etwas anfangen lässt.

Neu erscheint mir die dritte Achse. (Zumindest habe ich in der Literatur noch nichts vergleichbares gefunden.) Hier geht es um ein subjektives Element, dass mir in meiner persönlichen Tauschringpraxis häufiger begegnet ist. Für manche Tauschringmitglieder scheint es sehr wichtig zu sein, eine Art Bezahlung zu erhalten. Ob es sich dabei um Geld oder Leistungsverrechnung handelt, scheint sekundär zu sein. Ebenso, ob sich für Guthaben auf dem Konto überhaupt etwas kaufen lässt. Ich vermute, dass es hier weniger um den materiellen Wert der Vergütung geht, sondern eher um eine Form der Anerkennung. (Die praktische Anwendung dieser Überlegun beschreibe ich im Artikel "Der Soziale Tauschring".)

Die beiden Gegenpole

Wenn man jede Ecke des Dreiecks einzeln ansieht, was haben die beiden Gegenecke jeweils gemeinsam?

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Der Gegenpol zur existensicherenden Erwerbstätigkeit sind die Nebentätigkeiten. Das ist auch eine Grundregel der deutschen Arbeits- und Sozialgesetzgebung. Wenn jemand arbeitsfähig ist, hat die eigene Existenzsicherung Vorrang. (Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommen gehen genau vom Gegenteil aus.)

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Der Gegenpol zur unentgeltlichen Tätigkeit ist das Tauschen. Während der unentgeltlich Tätige seine Arbeitskraft verschenkt (wofür es viele gute Gründe gibt), erwarten Tauschringmitglieder und der Erwerbstätige etwas im Tausch. Interessanterweise scheint es dabei ziemlich egal zu sein, ob es sich um Zahlungsmittel, Versprechen, Gutscheine oder überlebensnotwendige Naturalien handelt.

Wer schenkt, gibt einfach gerne oder vertraut auf eine andere Form des Ausgleichs. Nach Marcel Mauss ist die "Gabe"[1] menschheitsgeschichtlich gesehen übrigens älter und verbreiteter als der "Tausch".

Im Artikel "Tauschen oder Schenken?" überlegen Andreas Artmann und ich, wo real existierende Tauschringe zwischen Tausch- und Schenkökonomie anzusiedeln sind.

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Der Gegenpol des Tauschrings ist die Gesellschaft (engl. society). Hier geht es um ein ganz zentrales Motiv, warum jemand einem Tauschring beitritt, und um ein zentrales Merkmal des Wirtschaftssystems Tauschring: die Gemeinschaft (engl. community).

Mit diesem Gegensatz von Gesellschaft und Gemeinschaft tun sich meines Erachtens zwei Weltanschauungen besonders schwer: die Marktliberalen und die Sozialisten. Die Marktliberalen erleben die Beschränkung des Tauschrings als künstliche Einschränkung des Marktes, sie suchen Mittel und Wege, den Markt zu erweitern, wollen außerhalb des Tauschrings mit Tauschringwährung einkaufen können. Sozialisten wiederum wollen die ganze Gesellschaft revolutionieren. Ihr Verständnis von Wirtschaft geht von absoluten Normen und Gesetzmäßigkeiten aus, die sich in nunmehr fast 150 Jahren Erfahrung weder theoretisch noch praktisch bewährt haben. Beide, Marktliberale und Sozialisten, haben m.E. ein zu einfaches, zu mechanistisches und zu materielles Gesellschaftsbild, als dass sich damit menschliches Zusammenleben lebenswert gestalten ließe.

Der Gegensatz von Gesellschaft und Gemeinschaft zeigt sich auch bei der Diskussion um die Gemeinnützigkeit von Tauschringen. Manchen fällt es schwer einzusehen, dass es bei Tauschringen nicht um die "Förderung der Allgemeinheit" sondern um einen "fest abgeschlossenen" Kreis von Personen.

Der Gegensatz zeigt sich auch bei den Diskussionen um Außentausch, überregionalen Verrechnungssystemen, dem Traum von einer universellen Zeitwährung und bei den vielen Geldexperimenten, die möglichst viele Menschen erreichen wollen. Sie wollen die Begrenzung des Tauschrings ebenfalls nicht akzeptieren.

Auf der Ebene Tauschring/Erwerbstätigkeit ließe sich der Gegensatz vielleicht auf die Phrase "Kommunitarismus statt Kommunismus und Konsumismus" verdichten.

In der Praxis treten meiner Erfahrung nach viele Menschen Tauschringe bei, gerade weil sie einen abgeschlossenen, überschaubaren und persönlichen Charakter haben. Es geht diesen Menschen gerade um die persönlichen Beziehungen und den Gemeinschaftssinn. Sie sehen den Wert eines Wirtschaftssystem, das auf persönlichem Vertrauen und einer solidarischen Gemeinschaft beruht. Diese Sichtweise dürfte auch allen gemein sein, die Tauschringe als Nachbarschaftshilfe oder Beitrag zur Stärkung von Nachbarschaften, Quartieren und Gemeinwesen betrachten.

Hier gibt es wiederum Überschneidungen und Konflikte mit den unentgeltlich Tätigen. "Nachbarschaftshilfe" im ursprünglichen Sinne und "Gefälligkeiten" werden im Schwarzarbeitsgesetz als Ausnahme genannt, weil sie ohne Anspruch auf Gegenleistung gewährt werden. Zahlreiche Menschen engagieren sich ehrenamtlich in ihrem Kiez, in lokalen Vereinen, in der lokalen Politik. Zahlreiche Menschen helfen sich vor Ort gegenseitig unentgeltlich aus.

Ich teile Stefan Purwins Ansicht, dass durch Tauschringe Dinge möglich werden, "die auf ehrenamtlicher Basis nicht zu organisieren sind und wofür andererseits kein Geld vorhanden ist." Ich meine aber, dass die Frage noch offen ist, welche "Dinge" das sein könnten.

Was ist neu?

Das Tauschringdreieck hilft m.E. zu verstehen, was Tauschringe besonders gut können.

Gemeinschaft

Die räumliche Nähe könnte sich als weniger wichtig herausstellen, als ich bisher vermutet hätte. Die Gemeinschaft des Tauschrings kann sich nach allen möglichen Kriterien finden. Bei den real existierenden Tauschringen zeigt sich, dass mit Nachbarschaftshilfe weniger das unmittelbare räumliche oder familiäre Umfeld, sondern eher ein erweitertes Netzwerk von ähnlich Gesinnten gemeint ist. Dieser Begriff der Nachbarschaftshilfe findet sich auch in der Stadtsoziologie bei Hamm(?)[2]. Und das würde auch zu den Beobachtungen von Offe/Heinze passen, dass Ein-Gut-Tauschkreise(?) besonders gut funktionieren.[3]

Tausch

Beim Tausch scheint es weniger wichtig zu sein, was getauscht wird, als dass getauscht wird. Das würde auch das Phänomen der hohen Pluskonten und die Beliebtheit von Zeittauschringen erklären. Die Tauschringmitglieder wollen nicht ehrenamtlich arbeiten (sonst würden sie es tun), sondern sie wollen etwas damit verdienen. Sie haben aber auch kein Interesse, ihre Guthaben auszugeben (sonst würden sie es tun). Es scheint zu reichen, dass Arbeit überhaupt vergütet wird, egal wie der Wert der Bezahlung ermittelt wird und was mit der Bezahlung letztlich gekauft werden kann.

Existenzsicherung

Der Anspruch auf Existenzsicherung durch Tauschringe scheint eher den Federn einiger Theoretiker als der praktischen Notwendigkeit zu entspringen. Die in der Literatur und bei Konferenzen genannten Beispiele für vermeintliche Existenzsicherung durch Tauschringe sind nach meinem Wissen Notgeldsysteme. Entweder auf Warenbasis (die berühmte Zigarettenwährung nach Zweiten Weltkrieg) oder auf Gutscheinbasis (wie Wörgl oder Argentinien). Diese Systeme zerfallen sofort, sobald besseres Geld verfügbar wird. Tauschringe sind eigentlich nur interessant für Menschen, deren Existenz bereits gesichert ist, entweder durch Erwerbstätigkeit oder durch soziale Sicherungssysteme. Wer wirklich existentiell auf weiteres Einkommen angewiesen ist, sucht Erwerbstätigkeiten, die "richtig" bezahlt werden und nicht nur mit einer selbstgebasteltem Fantasiewährung oder auf einen unverbindlichen Verein von Trittbrettfahrern.

In Einzelfällen kann das Tauschringnetzwerk einzelnen Mitgliedern tatsächlich bei der Existenzsicherung helfen. Aber das geht nur, solange der Tauschring eine funktionierende Gemeinschaft hat und ein ausreichend großer Teil der Mitglieder es sich leisten kann, ohne vollen Gegenwert zu tauschen. Insofern kann ein Tauschring auch eine Wohlfahrtsfunktion übernehmen. Das deckt sich auch mit "Mittelschichtsphänomen" bei vielen Tauschringen. Wer im Tauschring besonders aktiv ist, ist es meist auch in anderen Lebensbereichen.

Ich halte es aber für einen Fehler, gewerbliche Teilnehmer in einen eher privat geprägten Tauschring aufnehmen zu wollen, weil (…)

Tauschring als soziales Netzwerk Gleichgesinnter

Den Sinn und die Chance von Tauschringen sehe ich also im sozialen Netzwerk, nicht in seiner ökonomischen Funktion. Er hilft Beziehungen zu knüpfen, die sonst nicht zustande gekommen wären. Der Tausch im Tauschring ist eben keine anoyme professionelle Arbeitsleistung, sondern etwas persönlicheres.

Neu ist, den Gemeinschaftscharakter der Tauschringe ernst zu nehmen und ihn eher über die gemeinsamen Interessen als über den gemeinsamen Wohnort zu definieren. Ein eher politisch motivierter Tauschring hätte eine andere Umgangskultur, andere Mitglieder, andere Aktivitäten als etwa ein kuscheliger Nachbarschaftskreis, weil sie einfach andere Themen interessieren.

Wichtig erscheint mir dabei, sich diesen Charakter bewusst zu machen, ihn bewusst zu pflegen und auch im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit bewusst herauszustreichen.

Ein Tauschring kann eine Gemeinschaft von Menschen sein, die sich durch Tätigkeiten gegenseitig helfen, um sich kennenzulerenen, und von Menschen, die sich gegenseitig kennenlernen, um sich durch Tätigkeiten gegenseitig zu helfen.

Und genau hier finden sich die "Dinge", "die auf ehrenamtlicher Basis nicht zu organisieren sind und wofür andererseits kein Geld vorhanden ist." Es ist genau die Art erweiterter Nachbarschaftshilfe, die sich viele Tauschringe auf die Fahnen schreiben. Sie setzen weder Geld noch besondere berufliche Qualifikationen voraus, aber ein soziales Netz, wo sich die "Nachbarn" leicht finden können.

Fazit

Das Dreieck liefert ein Koordinatensystem, auf dem sich Tauschringe und tauschringartige Projekte positionieren können. Welche Gewichtung legen sie auf die Höhe, Qualität und Möglichkeit einer Bezahlung?

Das Dreieck verdeutlicht die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung von Tauschringen gegenüber existenzsichernden und unentgeltlichen Tätigkeiten. In beiden Bereichen gibt es geeignetere Organisationsformen, wie Unternehmen oder gemeinnützige Vereine.

Das Dreieck zeigt die Möglichkeit einer sinnvollen Positionierung von Tauschringen als etwas drittem. Im Gegensatz zur Freiwilligenarbeit bieten eine Bezahlung, wenn auch nur mit eingeschränkter Kaufkraft innerhalb einer Gemeinschaft. Dafür bietet die Gemeinschaft einen geschützten Markt, indem Tätigkeiten ausgeübt werden können, die sich zur Existenzsicherung nicht eignen.

Die Gemeinschaft begrenzt zwar den materiellen Nutzen des Zahlungsmittels, bietet dafür aber die Gelegenheit, ein soziales Netz aufzubauen. Die Herausforderung für die Organisatoren von Tauschringen besteht also darin, den Gemeinschaftssinn zu fördern. Dazu ist es notwendig herauszufinden, welche gemeinsamen Interessen die Teilnehmer zur Gemeinschaft verbindet.

Einzelnachweise