Zeit oder Euro

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Bei der Grundsatzdiskussion "Zeit oder Euro?" geht es um die Frage, welcher Wertmaßstab für Verrechnungseinheiten verwendet werden soll. Anfang der 2000er wurde diese Frage innerhalb der deutschen Tauschringe intensiv diskutiert.[1]

Äquivalenz zur gesetzlichen Währung (Euro)

"Bestätigter Arbeitswert 1 Schilling": Wörgler Freigeld von 1932/33

Die historischen Vorläufer der Euro-basierten Tauschringe finden sich im angelsächsichen Bereich im LET-System Michael Lintons der 1980er und den Barter-Clubs. Im deutschprachigen Raum gabe es in den 1920ern und frühen 1930ern Ausgleichskassen, Verrechnungsgesellschaften, Tauschbanken, Warenclearing-Stellen usw. Vertreter der Freiwirtschaftslehre verweisen insbesondere das "Experiment von Wörgl" von 1932/33.[2]

In der Gründungswelle der frühen 1990er wählte der 1992 in Halle gegründete döMak-Tauschring noch die gesetzliche Währung als Maßstab (D-Mark). Mittlerweile hat sich bei den meisten lokalen, sozial motivierten Tauschringen das Zeitmodell durchgesetzt.

Äquivalenz zur gesetzliche Währung ist heute eher bei Regiogeld-Initiativen zu finden.

Arbeitszeit als Geld

"Three hours' labor or three-twelve pounds of corn": Arbeitszeitbestätigung des Cincinnati Time Store, USA, vor 1846

Die historischen Vorläufer der Arbeitszeit-basierten Tauschring finden sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert in England als Arbeits-Tausch (labour exchange). Frühe Theoretiker sind John Gray[3], Owen, Proudhon u.a. Karl Marx lehnte die "Utopie des Arbeitsgelds"[4] ab. Er kritisiert bei Gray und anderen englischen Sozialisten, dass "das Arbeitsgeld eine ökonomisch klingende Phrase ist für den frommen Wunsch, das Geld, mit dem Geld den Tauschwert, mit dem Tauschwert die Ware, und mit der Ware die bürgerliche Form der Produktion loszuwerden … und damit den Sozialismus in ein elementares Mißverständnis über den notwendigen Zusammenhang zwischen Ware und Geld aufzulösen."[5]

Die heutigen Zeittauschringe und Seniorengenossenschaften ähneln mit ihren nachbarschaftlich-sozialen Zielen und Arbeitsweisen eher den Zeitbanken, wie sie in den USA Mitte der 1980er entwickelt wurden.[6]

Gleichwertigkeit von Lebenszeit

Die Grundlage für die Entscheidung Lebenszeit gegen Lebenszeit zu tauschen, entstand aus dem Wunsch eine bewusste Neubewertung von Arbeit praktisch umzusetzen. Vielen Tauschringen ist es wichtig, dass eine Stunde einer einfachen Tätigkeit (z.B. Putzen) genauso viel Lebenszeit beansprucht, wie komplexere Tätigkeiten (z.B. Reparatur eines Computers) und diese Arbeiten in der Entlohnung gleichwertig sind. In diesen Tauschringen gilt daher der Grundsatz, dass für eine Stunde Leistung immer nur eine Stunde gutgeschrieben werden darf.

Da dieser Ansatz bei Waren nicht mehr funktioniert, gibt es Tauschinge, die nur Dienstleistungen tauschen. Andere Tauschringe überlassen die letztendliche Entscheidung im Umgang mit Warentausch ihren Mitgliedern, z.B. nach der Frage "Wieviel meiner Lebens- und Arbeitszeit ist mir dieser Artikel wert?". Eine einheitliche Regelung, wie die Teilnehmer dann mit diesem Warentausch umgehen, ist bisher nicht wahrnehmbar.

Wert der Arbeitszeit verhandelbar

Ein Teil der Tauschringe weicht vom Tauschprinzip Lebenszeit gegen Lebenszeit ab und stellt ihren Mitgliedern frei, die Höhe der Gutschrift für die geleistete Dienstleistung oder die getauschten Waren frei zu auszuhandeln. Die Orientierung an der Zeit bleibt dabei erhalten.

Einheitslohn als Mischform

In der Praxis haben einige Tauschringe feste Kurse zwischen Arbeitszeit und Euro festgelegt. Bei den Euro-basierten Tauschringen gibt es dann eine Preisempfehlung, wie eine Stunde Arbeit zu bewerten sei. Bei den Zeit-basierten Tauschringen wird ein Umrechnungskurs zwischen Tauschwährung und Euro festgelegt, zum Beispiel für den Kurs, mit dem in Zeit-Einheiten definierte Restschulden beim Austritt durch Euro-Zahlungen abgegolten werden können.

Bei den Diskussionen um eine Steuerbefreiung für Tauschsysteme wird sogar ein bundesweit einheitlicher "Stundenverrechnungssatz" von 10 Euro die Stunde vorgeschlagen. Im "Forderungskatalog" der AG Tauschringe im Dialog wird diese Forderung so begründet:[7]

"Diese Ungleichbehandlung ist dadurch zu beseitigen, indem ein Stundenverrechnungssatz entsprechend dem jeweils festgelegten Umrechnungsfaktor jedes einzelnen Tauschsystems für steuerliche Berechnungen herangezogen wird, …"
"Im Rahmen der letzten Bundestreffen deutscher Tauschsysteme wurde empfohlen, sich an einem Stundensatz von 10 € zu orientieren, um eine Gleichbehandlung gegenüber den Finanzämtern zu erwirken und Einzelfallentscheidungen zu vermeiden."

Die meisten Seniorengenossenschaften haben von Zeitgutscheinen auf Einheitslohn gewechselt.

Es scheint unterschiedlichen Varianten zu geben, wie der Einheitslohn bestimmt wird. Bei einigen Tauschringen scheint er einmal festgesetzt und dann dauerhaft beibehalten zu werden. Es scheint aber auch Tauschringe zu geben, die den Umrechnungskurs laufend an die inflationsbedingten Wertverlust des Euro und an das lokal üblich Lohnniveau anpassen. Das wäre ein finanziell sinnvoller Anreiz, Euro langfristig in "Stunden" anzulegen. Wer sich heute für 10 Euro eine "Stunde" Dienstleistung erkauft, könnte sie erst in 10 Jahren in Anspruch nehmen, wenn sie sonst 20 Euro kosten würde. Es fällt zwar kein Zinsgewinn an, aber auch kein Zinsverlust.

Einzelbelege

  1. Enrica Dragoni Maier: Tauschringe - Chance in der Vielfalt? Gibt es zwei Formen (geld-/zeitorientiert) oder noch viel mehr dazwischen? Diskussionspapier zu Eröffnungsworkshop des BT 2003. (Download)
  2. de.wikipedia.org/wiki/Wunder_von_Wörgl
  3. John Gray, »The Social System. A Treatise on the Principle of Exchange«, Edinburgh 1831.
  4. vgl. "Zur Kritik der politischen Öokonomie", 1859 [1]
  5. vgl. Vorwort zur zweiten deutschen Auflage vom "Elend der Philosophie", 1892 [2]
  6. https://en.wikipedia.org/wiki/Time_Banking
  7. Forderungskatalog der AG Tauschringe im Dialog, 2007(Download)

Weblinks

Artikel: