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Titel: Tauschringe brauchen eine verlässliche Zentrale

Autor: Harald Friz (Berlin)

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Erste Version 4.12.2012; diese Version 24.10.2014

Bei einer tiefgründigen Tauschringfachsimpelei Anfang Dezember 2012 kam eine oft gestellte Frage auf. Könnte man "Tauschringe" nicht irgendwie anders nennen? Die Bezeichnung wirke irgendwie zu eng. Außerdem gehe es doch um Menschen und ihre Beziehung zueinander. Wäre die Bezeichnung "Tauschnetz" nicht viel zutreffender? Es gäbe ja schon einige Tauschringe, die sich selbst als "Tauschnetz" bezeichnen![1]

Tauschnetz

Nach meinem Verständnis lässt die Bezeichnung "Tauschnetz" etwas Zentrales vermissen, das für "Tauschringe" wesentlich ist. Nur was? Dazu möchte ich mit einem möglichst einfachen "Tauschnetz" beginnen.

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Das hier dargestellte "Tauschnetz" besteht aus Personen, die für einander Dienste leisten oder einander Waren geben. Die Personen sind die Knoten im Netz. Die Gaben sind die Linien im Netz. Ein Pfeil bedeutet, dass die eine Person der anderen etwas gegeben hat.

Diese Art von Netz beschreibt die sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, wie sie etwa für die Nachbarschaftshilfe typisch sind. Obwohl jede einzelne Transaktion einseitig ist, dürfte sich kaum einer an der Bezeichnung "Tauschnetz" stören. Hier findet ganz offensichtlich ein Austausch statt. Aber woher wissen die Teilnehmer des Netzes, dass jeder seinen Teil zum Tausch beiträgt? Aus der Alltagserfahrung weiß jeder, dass manche Menschen großzügig geben, während sich andere dreist durchschnorren.

Die Gabe

Eine Antwort lieferte der französische Soziologe Marcel Mauss in den frühen 1920er in seinem berühmten "Essay über die Gabe". Er beobachtete, dass es in allen Gesellschaften eine Moral der Gabe und Gegengabe gibt. Diese Moral sei viel ursprünglicher als der "Tausch" und auch in unserer heutigen Industriegesellschaft vorhanden:[2]

"Die nicht erwiderte Gabe erniedrigt auch heute noch denjenigen, der sie angenommen hat, vor allem, wenn er sie ohne den Gedanken an eine Erwiderung annimmt." (…) "Milde Gaben verletzen den, der sie empfängt, und all unsere moralischen Bemühungen zielen darauf ab, die unbewusste schimpfliche Gönnerhaftigkeit des 'Almosengebers' zu vermeiden."

Mauss beobachtete außerdem, dass die Gabe Beziehung stiftet. Wer einem anderen ein Geschenk macht, stellt eine Beziehung her oder vertieft eine bestehende Beziehung. Wer ein Geschenk annimmt, fühlt sich zur Gegengabe verpflichtet. Ein Geschenk abzulehnen, ist in manchen Situationen undenkbar. Der Zusammenhang zwischen Gabe und Beziehung unterliegt außerdem kulturellen Konventionen.

So einfach ein aus Gaben gebildetes "Tauschnetz" auf den ersten Blick auch aussehen mag, so komplex sind die dahinterstehenden sozialen Beziehungen. In den Austausch spielen zahllose geschriebene und ungeschriebene Regeln hinein.

Unpersönlicher Tausch und Kauf

Das Gegenstück zur Gabe sind Tausch und Kauf, die sehr unpersönlich ablaufen können. Zwei Personen treffen zusammen, handeln einen Preis aus. Die beiden Personen tauschen ihre Dienste, Waren oder Geldstücke miteinander aus. Der Handel ist abgeschlossen. Es ist moralisch völlig akzeptabel, dass nach der Transaktion jeder wieder seiner Wege geht.

So begründet beispielsweise der Kauf eines Mantels gegen Bargeld keine persönliche Beziehung mit dem Verkäufer. Der Kontakt im Flohmarkt, Kaufhaus oder bei der Online-Bestellung mag vielleicht den Anlass zu einer persönlichen Beziehung liefern, weil sich die Beteiligten sympathisch finden. Aber selbst langjährige Stammkunden eines Schneiders müssen zu ihm nicht notwendigerweise eine persönlichere oder gar private Beziehung entwickeln. In der Regel bleibt - zumindest im Alltag westlicher Großstädter - der Kontakt unpersönlich.

Dagegen kann die Gabe eines Mantels sehr starke soziale Signale beinhalten. Als milde Gabe an einen Obdachlosen ist sie Ausdruck eines sozialen Gefälles, das durch die Gabe sogar noch verstärkt wird. Als Geschenk an die Ehefrau kann der Mantel Dankbarkeit, den Wunsch nach einer tieferen Beziehung, eine Wiedergutmachung und noch sehr vieles mehr bedeuten.

Ein praktischer Nutzen von Tausch und Kauf ist die Vereinfachung sozialer Interaktionen.

Netz und Zentrale bei Tauschringen

Tauschringe und Barter Clubs gehen einen dritten Weg. Das Netzwerk der Gaben wird um eine zentrale Steuereinheit ergänzt.

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Ein "Tausch" in einem Tauschring ist wirtschaftlich gesehen immer noch eine einseitige Gabe. Aber diesmal einigen sich die beiden "Tauschpartner" auf eine Bewertung der Gabe in “Verrechnungseinheiten". Der Leistungsgeber erhält einen Tauschbeleg als Quittung. Er reicht diesen bei der Verrechnungsstelle ein, die den vereinbarten Betrag in das zentrale Verrechnungsbuch einträgt. Im Gegensatz zum Netz der Gaben oder zum unpersönlichen Kauf, enthält ein Tauschring ein zentralistisches Element - die buchführende Verrechnungsstelle.

Dass Tauschringe eine "Zentrale" haben, war in in älterer Literatur[3][4][5][6][7][8] zu Tauschringen und Barter Clubs völlig geläufig. Sie findet sich sogar schon bei den "Tauschsozialisten"[9] (Proudhon, Owen) des 19. Jahrhunderts. In den letzten Jahren scheinen dagegen immer mehr vermeintliche "Tauschringe" der Vorstellung anzuhängen, "Zeit" sei eine Art universelles und dezentrales "Tauschmittel", das irgendwie jenseits von Personen, Gemeinschaften und Institutionen existieren würde.

Ich halte das für ein grundlegendes Missverständnis einfachster wirtschaftlicher und geldtheoretischer Zusammenhänge.

Tauschversprechen als Grundlage der Gemeinschaft

Ein Tauschring wird aber nicht allein durch die Dokumentation der Gaben in einer zentralen Buchführung zum Tauschring. Ein Geschenk, dessen Wert aufgeschrieben wurde, bliebe immer noch ein Geschenk. Zum Tausch wird es erst durch das Tauschversprechen des Empfängers, erhaltene Gaben durch gleichwertige Gegengaben zu erwidern. An einem Tauschring darf nur teilnehmen, wer diese moralische Verpflichtung ausdrücklich eingeht.

Paradoxerweise kann die "moralische Verpflichtung" des Tauschrings die Mitglieder der Tauschgemeinschaft moralisch entlasten. Die Tauschregeln sind eine Vereinfachung gegenüber den komplexen sozialen Konventionen des Gaben-Tauschs in nicht formalisierten sozialen Verbänden.

Durch das Tauschversprechen bildet sich eine Gemeinschaft. Beitreten kann nur, wer das Tauschversprechen abgibt. Austreten kann nur, wer das Tauschversprechen einlöst. Die vorhanden Mitglieder entscheiden, wenn sie als neue Mitglieder aufnehmen wollen. Die Teilnahme ist freiwillig, aber an verbindliche Regeln (Tauschregeln und Satzung) gebunden.

Es dürfte unstrittig sein, dass es sich bei Tauschringen um Gemeinschaften handelt. Viele Tauschringmitglieder treten einem Tauschring vor allem aus Sehnsucht nach Gemeinschaft bei. Andere nehmen diese Seite des Tauschrings kaum wahr.

Macht

Wo sich Menschen in einer Gemeinschaft zusammen tun, stellt sich schnell die Frage nach der Macht. Wer hat zum Beispiel das Recht, die Tauschregeln zu ändern? Wie soll mit Mitgliedern verfahren werden, die sich nicht an die Tauschregeln halten? Wer darf welche Informationen im zentralen Verrechnungsbuch einsehen?

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Legitimation

Mit der Machtfrage scheinen sich viele Tauschringe sehr schwer zu tun. Sie behandeln sie in ihren Tauschregeln nur mit kurzen Hinweisen auf Transparenz (jeder darf alles sehen) und "Basisdemokratie" (jeder muss zu allem gefragt werden).

Sie übersehen dabei, dass der Tauschring eine zentralistische Komponente hat. Sie übersehen, dass Regeln nur sinnvoll sind, wenn sie auch durchgesetzt werden können. Ein klassisches Beispiel ist der Umgang mit Limits auf Tauschkonten. Soll eine Gabe als Tausch verbucht werden, wenn dadurch das Minuslimit des Leistungsnehmers überschritten würde? Die Regeln sind klar. Aber wer sagt Nein?

Ich habe den Eindruck, dass sich viele Tauschringe der Notwendigkeit von Machtausübung verweigern. Sie scheinen den Tauschring als ein bessere Welt zu verstehen, wo so etwas nicht nötig sei, weil sich sowieso alle an die Regeln halten. Deswegen vermeiden sie auch die Frage, wie Macht legitimiert werden kann.

In der Praxis scheint diese zentrale Stelle im System deswegen von autoritären Persönlichkeiten gefüllt zu werden, die sich einfach selbst zum Zentrum der Organisation erklären, ohne sich groß um eine Legitimation zu scheren. Mangels geeigneter demokratischer Verfahren können sie von der Gemeinschaft dann weder abgewählt, noch zur Rechenschaft gezogen werden.

Überlagerung der drei Beziehungsebenen

Das soziale System Tauschring verhält sich in der Praxis so ganz anders, als viele erwarten würden, weil sich in einem zweipoligen System (Netz-Zentrale) drei Beziehungsebenen (Gabe-Information-Macht) überlagern.

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Die wirtschaftlichen Beziehungen (grün) bilden das "Tauschnetz" zwischen den Mitgliedern. Sie entstehen durch die Gaben.

Die Mitglieder informieren (blau) die Tauschzentrale über ihre wirtschaftlichen Gaben. Durch die Verrechnung gemäß den Tauschregeln wird aus der Gabe ein Tausch.

Dieser einseitige Informationsfluss schafft ein Informationsgefälle und damit ein Machtgefälle. "Wissen ist Macht". Die Personen in der Zentrale haben den Zugriff auf alle Informationen und können allein schon durch den Informationsvorsprung Macht ausüben (rot).

Auf welche Weise eine Gemeinschaft die Macht der Zentrale legitimiert, hängt sehr von der jeweiligen Gemeinschaft ab. Manche wählen einen Vorstand, den sie regelmäßig zur Rechenschaft ziehen. Anderen geben die Verantwortung bereitwillig an Autokraten ab.

Bedeutung der Buchführung

Nicht zu unterschätzen ist die Macht, die der Zentrale durch die Kontrolle des Buchungssystems zukommt. Sie verteidigt die Grenze zwischen Tauschen und Schenken.

Im besten Fall übernimmt die Zentrale Verantwortung und setzt die von der Gemeinschaft legitimierten Tauschregeln durch, ohne Ansehen der Person. Der Tauschring ist tatsächlich ein Tausch-Ring, bei dem jeder Teilnehmer sein Tauschversprechen einhält.

Im schlechtesten Falls verweigert die Zentrale die Verantwortung. Eventuell verhindert sie sogar willkürlich Buchungen (der vermeintliche Tausch wird zur Gabe) oder gewährt willkürliche Ausnahmen von Minuslimits (eine unerlaubte Erweiterung des Kreditrahmens) oder verfügt ohne jedwede Legitimation über Gemeinschaftskonten. Ohne zentrale Kontrolle zerfällt der Tauschring. Er gibt zwar immer noch ein Beziehungsnetz zwischen den Teilnehmern. Aber es ist kein Tausch-Netz mehr.

Wirtschaftliche Interessenskonflikte

Die bisherigen Überlegungen gehen vereinfachend davon aus, dass die Zentrale nicht zum Netz gehört. In diesem Fall wäre die Zentrale wie ein Schiedsrichter beim Fußballspiel, der das Spiel zwar begleitet, aber selbst nicht mitspielt.

In der Praxis spielt die Zentrale meist doch mit. Und damit wird das soziale System Tauschring noch komplexer.

Mitglieder der Zentrale als Akteure im Netz

Die Mitarbeiter in der Zentrale sind üblicherweise Mitglieder des Tauschrings, die sich selbst am Tauschnetz beteiligen. Solange sie ihre Rollen als Teil des Tauschnetzes bzw. als Teil der Zentrale sauber trennen, geht es alles gut.

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Leider versuchen manche Mitarbeiter der Zentrale, ihre Sonderstellung in der Tauschgemeinschaft auf unlautere Weise ausnutzen. Wenn sie etwa ihren Informationsvorsprung nutzen, werfen ihnen die anderen Mitglieder vor: "Die Leute in der Zentrale schnappen uns die guten Aufträge weg!" Wenn sie sich selbst über die Tauschregeln hinwegsetzen, fragen die Mitglieder "Wieso dürfen die Leute in der Zentrale ihr Konto überziehen und wir nicht?"

Die Zentrale als Akteur im Netz

In vielen Tauschringen ist es üblich, die Mitarbeiter der Zentrale für ihre Tätigkeit zu vergüten. Um diese Vergütung zu finanzieren, zieht die Zentrale von den Mitgliedern des Tauschnetzes Mitgliedsbeiträge ein.

Nach meinem Verständnis verstößt eine Abbuchung durch die Zentrale gegen das Verrechnungsprinzip. Die Verbindung von Leistung und Verrechnung wird aufgehoben. Welche Leistung wird verbucht, wenn ein Mitgliedsbeitrag erhoben wird? Und gibt die Bewertung dieser Leistung (üblicherweise eine feste monatliche Pauschale) den Umfang und die Qualität der von dem Mitglied in Anspruch genommenen Leistung angemessen wieder?

Ich meine, dass an diesem Punkt aus einem (bar)geldlsoen Verrechnungssystem ein lokales Geldsystem wird. Der abgebuchte Mitgliedsbeitrag wird wie Geld behandelt - und ist damit Geld.

Verrechnungsstelle oder Zentralbank?

Warum ist es sinnvoll, zwischen Tauschringen und Lokalgeldsystemen zu unterscheiden? Auf den ersten Blick scheint sich die Struktur der sozialen Beziehungen in beiden Systemen zu ähneln.

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Ich meine, dass es wesentliche Unterschiede gibt:

  1. In einem Lokalgeldsystem ist die Aufgabe der Zentrale nicht mehr, die Gaben der Akteure zu dokumentieren, sondern ein Tauschmittel in Umlauf zu bringen und den Geldfluss zu steuern.
  2. Der Ausgleich zwischen Leistungsgeber und Leistungsnehmer wird durch die Bezahlung mit dem Tauschmittel sofort hergestellt. Ob dieses Lokalgeldsystem Bargeld, E-Geld oder Buchgeld verwendet, scheint mir unwesentlich.
  3. Das "Tauschversprechen" verliert an Bedeutung. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft wird an andere Bedingungen geknüpft. Ein Bargeldsystem kommt sogar ganz ohne aus.

Damit ändert sich die Qualität der sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern. Aus einer einseitige Gabe, die ein Leistungsgeber im Vertrauen auf das persönliche Tauschversprechen des Leistungsnehmers gibt, wird ein unpersönlicher Kauf.

Der Vorteil von Lokalgeld liegt - wie bei jedem anderen Geld - in der Vereinfachung der sozialen Beziehungen. Wer Geld hat, kauft ein. Wer kein Geld hat, muss es verdienen, stehlen, drucken oder sich schenken lassen. Außerdem gestattet ein solches Lokalgeldsystem komplexere Finanzkonstruktionen (siehe unten).

Mit "Tausch" hat das alles nichts mehr zu tun. Weder im Sinne von Naturaltausch, noch im Sinne des eingangs beschriebenen Verrechnungssystems Tauschring.

Ich verstehe nicht, warum so viele vermeintliche Tauschringe nicht wahr haben wollen, dass sie eigentlich Lokalgeldsysteme sind. Die gleiche Frage stellte übrigens auch schon Lothar Mayer beim Bundestreffen 1998 in Rostock:[10]

Warum diese Scheu, im Zusammenhang mit LETS das Wort Geld zu benutzen? Weil wir uns nicht klarmachen, wovon wir reden, wenn wir Geld sagen. (…) Dabei ist das, was wir in unseren LETS­ Gruppen geschaffen haben, Geld in seinem ursprünglichsten Sinn: nämlich in erster Li­nie ein Tauschmittel - mit kaum erwähnenswerten Nebenwirkungen.

Mitarbeiter der Zentrale bezahlen

Bei Lokalgeld ändert sich aber auch die soziale Dynamik zwischen Zentrale und Netz. Die Mitarbeiter der Zentrale bekommen ein mächtiges Werkzeug in die Hand. Sie haben den Zugriff auf die Gemeinschaftskonten, die dem Geldsystem als unerschöpflicher Geldquelle zu dienen. Es kommt zu einem Interessenkonflikt, sobald die Mitarbeiter der Zentrale für ihre Tätigkeit bezahlt werden wollen.

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Einerseits besteht die Aufgabe der Zentrale darin, den Geldfluss zu steuern. Die Mitarbeiter der Zentrale tragen die Verantwortung für die Finanzen der Zentrale. Sie müssen sicherstellen, dass die Zentrale weniger ausgibt als einnimmt.

Andererseits wollen die Mitarbeiter der Zentrale für ihre Tätigkeit bezahlt werden. Wenn die Zentrale genug Einnahmen hat, ist die Bezahlung kein Problem. Aber was ist, wenn die Zentrale weniger eingenommen hat, als für die verschiedenen Ausgabeposten nötig ist? Werden die Mitarbeiter der Zentrale ihre eigenen Forderungen zurückstecken? Oder lassen sie die Geldquelle sprudeln, bis die Gemeinschaftskonten überschuldet sind?

Vermischung von Verrechnung und Tauschmittel

Der Tausch mittels einer Verrechnungsstelle und die Einführung eines Tauschmittels durch eine gemeinschaftseigene Zentralbank sind völlig unterschiedliche wirtschaftliche Prinzipien. Die einen Gemeinschaften tauschen tatsächlich ohne Geld, die anderen bringen selbst gemachtes Geld in Umlauf.

Zahlreiche Konflikte innerhalb von Tauschringen lassen sich darauf zurückführen, dass die Mitglieder von unterschiedlichen Annahmen über die Art ihres Wirtschaftssystem ausgehen. Wenn sich die Gemeinschaft nicht geeinigt hat, werden Tauscher und Bezahler vor allem bei der Bedeutung des Tauschversprechens für die Gemeinschaft aneinander vorbeireden.

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Vor allem wird durch die Vermischung der Prinzipien Verrechnung und Tauschmittel das System "Tauschring" wirtschaftlich und sozial so komplex, dass ein wichtiger sozialer Nutzen verloren geht - die Vereinfachung der sozialen Interaktionen.

Ich meine, dass "Tauschringe" gut daran täten, sich klar zu entscheiden, was sie denn nun sein wollen: ein geldloses Verrechnungssystem oder eine alternatives Geldsystem.

Einfache Tauschnetze

Ich meine, dass sich dieser ganze theoretische und bürokratische Überbau insbesondere für kleine Tauschringe nicht lohnt. Aus wirtschaftlicher Sicht dürfte es viel einfacher sein, auf der einen Seite Geschäfte als gewöhnlichen Naturaltausch oder Kauf abzuwickeln, und auf der anderen Seite ein persönliches Freundes- und Helfernetzwerk aufzubauen.

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Auch aus sozialer Sicht ließe sich ein allgemeines Tausch-Netz viel einfacher aufbauen. Anstatt ein komplexes Wirtschafts- oder Finanzmodell ins Zentrum zu stellen, könnte es auch ganz einfach der erklärte Wunsch sein, ein soziales Netz zu bilden, wo sich die Beteiligten gegenseitig aushelfen. Bis zu einer gewissen Größe können sich die Teilnehmer auch ohne bürokratischen Überbau gegenseitig gut einschätzen.

Dieser Gedanke ist nicht neu. Die "Tauschringe", die es in Deutschland unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg gab, waren genau so organisiert.[11]

Reputation in organisierten Tauschnetzen

Bei kleineren, örtlich begrenzten Tauschnetzen ist es leicht, etwas über den guten Ruf (Reputation) der anderen Teilnehmer zu erfahren.

Im größeren Maßstab ist das erst durch die Verbreitung des Internets möglich geworden. Ein erfolgreiches Beispiel sind etwa Gastfreundschaftsnetzwerke, wo sich die Mitglieder gegenseitig Übernachtungsplätze kostenlos zur Verfügung stellen.

Auch hier gibt es wieder das Nebeneinander von Netz und Zentrale. Die Zentrale stellt das Bewertungssystem zur Verfügung, das den Netzteilnehmern den Aufbau ihrer eigenen Reputation und das Einschätzen der Reputation anderer Teilnehmer ermöglicht.

Zentrale als gemeinsames Element

So unterschiedlich Motive und Mittel der Zentrale in sämtlichen organisierten Tauschsystemen auch sein mögen, so haben sie in in der Praxis ein wichtiges strukturelles Problem gemeinsam: sowohl Tauschringe als auch "Tauschringe" brauchen zum Überleben eine gut funktionierende Zentrale.

Neben den bisher genannten eher "harten" Aufgaben (wie Buchhaltung, Controlling, Organisationsplanung und Führung) übernimmt die Zentrale in der Praxis auch noch zahlreiche "weichere" Aufgaben:

  • Sie hilft beim Aufbau des Tauschnetzes, indem sie Tauschanfragen zwischen den Mitgliedern vermittelt, eine Tauschzeitung herausbringt, uvm.
  • Sie hilft beim Aufbau der Gemeinschaft, indem sie Feste organisiert, Mitglieder betreut, usw.

Von der Zentrale hängt für den Tauschring also sehr viel ab. Deswegen erscheint es mir so wichtig, die Legitimation, die Aufgabenteilung und die Personalauswahl der Zentrale im Tauschring sehr bewusst zu gestalten.

Fazit

Die Zentrale ist ein wesentlicher Bestandteil von Tauschringen (und Lokalgeldinitiativen).

In Tauschringen führt die Zentrale das Verrechnungsbuch und hütet das gemeinschaftliche Tauschversprechen. In Lokalgeldinitiativen steuert die Zentrale den Umlauf des Tauschmittels und hütet die gemeinschaftliche Geldquelle.

Eine verantwortungsvolle und von der Gemeinschaft legitimierte Zentrale stärkt Tauschringe (und Lokalgeldinitiativen). Ist die Zentrale zu starr, behindert sie das organische Gedeihen eines lebendigen Ökosystems. Ist die Zentrale zu eigenmächtig, verantwortunglos oder schwach, zerfällt der Tauschring.

Anmerkungen

  1. Google-Suche: tauschnetz
  2. Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gemeinschaften. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1990. ISBN 9783518283431. S. 157 Kapitel IV, 1 "Moralische Schlussfolgerungen"
  3. Godschalk 1986, S. 15
  4. Schneider 1995, S. 22ff; insb. Fußnote 27 "Die Tauschzentrale wird 'somit ein Substitut für ein Tauschmittel'"
  5. Dokumentation BT 1997, S. 56 "§6 Kontoführung"
  6. Brandenstein Corino Petri 1997, S. 1
  7. Hoffmann 1998, S. 22
  8. Handbuch der Tauschsysteme, Kapitel 5
  9. Godschalk 1986, S. 31
  10. Lothar Mayer: Geld frißt Welt. in: Dokumentation des BT 1998, S. 6f.
  11. QUELLE FEHLT!