Harr/Tauschringe als Allmenderessource für Kredit und Arbeitskraft
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Titel: Tauschringe als Allmenderessource für Kredit und Arbeitskraft Autor: Harald Friz (Berlin) Kommentare, Korrekturen und Ergänzungsvorschläge bitte nur auf der Diskussionsseite. ENTWURF - WEITERVERÖFFENTLICHUNG BITTE ERST NACH FREIGABE DURCH DEN AUTOR |
Die heutigen Tauschringe ähneln sich in ihren Satzungen und Tauschregeln. Diese sind meist sehr kurz gehalten. Sie wirken einfach, vollständig und gut durchdacht. Nur bewähren sie sich nicht in der Praxis.
Viele Tauschringe haben überschuldete Gemeinschaftskonten. Viele Mitglieder verlassen ihren Tauschring mit offenen Verbindlichkeiten, trotz des schriftlich gegebenen Leistungsversprechens. Organisatoren setzen sich über Limits und andere gemeinschaftliche Vereinbarungen hinweg, obwohl es ihre Aufgabe wäre, die Einhaltung dieser Regeln zu überwachen und durchsetzen. Was läuft falsch?
Vielfalt statt Einfalt
Einerseits sind sich viele Tauschringmitglieder offensichtlich uneinig, ob sie Teil einer unverbindlichen Tauschbörse, eines verbindlichen Barter Clubs, einer unabhängige Lokalwährung oder eines überregionalen Zeitbanksystems sein wollen. Andererseits hat die große Mehrheit der Tauschringe fast identische Tauschregeln.
Vermutlich liegt ein grundsätzliches Missverständnis über die wirtschaftliche Funktion von Tauschringen vor. Unterschiedliche wirtschaftliche Zielsetzungen erfordern unterschiedliche Regeln.
Dieser Artikel untersucht die Frage, ob es sinnvoll ist, Tauschringe als Allmenderessourcen (common pool resorces) für Kredit und Arbeitskraft zu verstehen. Dazu werden gängige Tauschringmodelle mit dem Erklärungsmodell von Elinor Ostrom verglichen, für das sie 2009 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde.[1][2]
Zugang und Verbrauchbarkeit
Wirtschaftsgüter sind Güter, die tausch- und marktfähig sind, aber nicht zu jeder Zeit und an jedem gewünschten Ort in der gewünschten Qualität und Menge zur Verfügung stehen.[3] Elinor Ostrom klassifiziert Güter nach zwei Kriterien:[2]
- Subtrahierbarkeit (subtractibility) ist ein Maß, wie sehr der Verbrauch eines Nutzernießers (beneficiary, appropriator) die Verfügbarkeit des Gutes für andere Nutznießer mindert. Eine Scheibe Brot kann nur einmal gegessen werden. Wissen dagegen bleibt erhalten, egal wie viele Menschen es verwenden.
- Ausschließbarkeit (excludability) ist ein Maß für den Aufwand, um mögliche Nutznießer vom Zugang zu einem Gut abzuhalten. Ein Auto kann vom Besitzer verschlossen werden. Den Zugang zu einem Club kann ein Türsteher verweigern. Die Luft zum Atmen oder die Fische eines Sees sind für jeden zugänglich.
Daraus ergeben sich vier grobe Kategorien: öffentliche Güter, Allmenderessourcen, Mautgüter und Privatgüter. Die folgende Tabelle zeigt, wie das Tauschen diesen Kategorien zugeordnet werden könnte.
Hohe Subtrahierbarkeit, große Rivalität | Geringe Subtrahierbarkeit, geringe Rivalität | |
Mögliche Nutznießer schwer auszuschließen | Allmenderessource (common-pool resource) Tauschring mit ausgewählten Mitgliedern und verbindlichen Limits. Seniorengenossenschaft. Barter Club. Mutual Credit System. Genossenschaft. Solidarität. VeSTa |
Öffentliches Gut (public good) Tauschring offen für alle. Keine Limits. Geldexperiment. Gemeingut. Creative Commons, Open Access, Peer Economy. Offenes Zeitbanksystem. RTR |
Mögliche Nutznießer leicht auszuschließen | Privates Gut (private good) Naturaltausch, Ringtausch, Kaufen, Schenken (Umsonstökonomie, Spenden, Fürsorge) |
Mautgüter (toll good, club good) Kleinanzeigenblätter, Flohmarkt, Tauschbörse |
Über Privatgüter verfügen nur die jeweiligen Eigentümer. Sie können miteinander unmittelbar Tauschgeschäfte vereinbaren, die mit dem Tausch abgeschlossen sind. Jeder Eigentümer kann frei darüber entscheiden, mit wem er tauscht oder nicht. Es gibt keine weiteren Abhängigkeiten.
Mautgüter sind gemeinschaftlich genutzte Ressourcen wie Kleinanzeigenblätter, Tauschbörsen, Flohmärkte. Zugang erhält, wer von den Veranstaltern zugelassen wird und die entsprechende Nutzungsgebühr entrichtet. Kein Teilnehmer kann durch sein Nutzungsverhalten den anderen etwas wegnehmen. Wer sich nicht an die Regeln hält, kann leicht ausgeschlossen werden.
Tauschringe gehören zu den gemeinschaftlich genutzten Ressourcen, wo das Verhalten Einzelner das System als Ganzes schädigen kann und es trotzdem nur schwer möglich ist, sie aus dem System auszuschließen.
Die interessante Frage ist nun, ob Tauschringe eher den öffentlichen Gütern oder den Allmenderessourcen zuzurechnen sind.
Ressourcensystem und Ressourceneinheiten
Elinor Ostrom unterscheidet zwischen Ressourcensystemen (resource system) und Ressourceneinheiten (resource units). Das Resourcensystem stellt die Ressourcen bereit. Die Resourceneinheiten sind das, was der Nutznießer (beneficiary) sich aneignet (appropriate).
Ressourcensystem (resource system) | Resourceneinheit (resource unit) |
Grundwasserreservoir | Wasser (in Liter) |
Fischgründe | Fische (in Kilo) |
Notenbanken | Geld (in Landeswährung) |
Lokale Währungssystem | Lokalwährung (in Verrechnungseinheiten) |
Mutual Credit System | Kredit (in Verrechnungseinheiten) |
Tauschsystem | Dienstleistungen und Waren (in Verrechnungseinheiten) |
Die Besonderheit von Tauschringen liegt darin, dass sie Lokalwährung, Mutual Credit System und Tauschsystem in einem sind. Geldschöpfung, Kreditvergabe und Tauschaktivität beeinflussen sich gegenseitig.
Falls Tauschringe ein Ressourcensystem für ein öffentliches Gut sind, von dessen Nutzung keiner ausgeschlossen werden sollte, was sind dann die Ressourceneinheiten, die in beliebiger Menge entnommen werden können, ohne dass der Verbrauch des einen Nutzers dem anderen etwas wegnehmen könnte?
Geld lässt sich leicht in beliebiger Menge schöpfen, wie zahlreiche Geldexperimente beweisen. Kredit zu Lasten der Gemeinschaft ebenfalls, wie die zahlreichen überschuldeten Tauschringe beweisen.
Knapp ist die Menge der Dienstleistungen und Waren, die jedes einzelne Mitglied den anderen Mitglieder bereitstellen kann. Der Tag hat nur 24 Stunden. Mehr als 24 Stunden am Tag kann man nicht arbeiten. Warenvorräte sind irgendwann erschöpft.
Arbeitskraft, Geld, Kredit
Wozu sind Tauschringe eigentlich gut? Diese Frage wird von Tauschringinteressierten sehr unterschiedlich beantwortet. Die einen träumen von wolkiger Gerechtigkeit, versteigen sich in naive Kapitalismuskritik oder wollen mit selbstgemachtem Geld spielen. Die anderen haben handfestere Interessen.
Tausch von Arbeitskraft
Viele treten aus wirtschaftlichen Motiven einem Tauschring bei. Sie wollen sich "etwas leisten, was sie sich sonst nicht leisten könnten". Auf der Wunschliste stehen vor allem Dienstleistungen, vom Putzen über die Umzugshilfe bis zur Computerberatung. Mit einem Wort: Arbeitskraft.
Das spiegelt sich auch in der weiten Verbreitung von Zeittauschringen, die ihre Verrechnungseinheit durch Arbeitszeit definieren. Üblicherweise wird eine Stunde Arbeit einen Mitglieds gegen eine Stunde Arbeit eines anderen Mitglieds getauscht.
Tauschringe sind also ein Pool für Arbeitskräfte und Arbeitskraft, aus dem sich die Mitglieder bedienen können - ohne mit Bargeld bezahlen zu müssen.
Bezahlen
Natürlich ist es für den Verbraucher angenehm, wenn andere ohne Bezahlung arbeiten. Nur warum sollten die Leistenden mitmachen? Warum sollte jemand ohne Bezahlung für andere arbeiten?
Umsonstkultur
Ohne Bezahlung zu arbeiten, ist in vielen Bereichen des Lebens sinnvoll und normal. Manche engagieren sich im Ehrenamt. Manche spenden Geld und Arbeitskraft für gute Zwecke. Manche verschenken ihre Arbeitskraft im Vertrauen auf höhere Ausgleichsprinzipien. Manche tragen ihre Arbeitskraft bei, um zusammen mit anderen nichtverbrauchbare Gemeingüter wie creative commons oder free and open software zu schaffen (Peer Economy).
Naturaltausch
Mit Naturalien kann man sich auch bezahlen lassen. Es muss nicht immer Bargeld sein! Der Leistende tauscht seine Arbeitskraft unmittelbar gegen Waren oder gegen Dienstleistungen ein. Das ist wohl die älteste, einfachste und zuverlässigste Methode, für eigene Arbeit eine reale Gegenleistung zu erhalten. In wirtschaftlichen Notzeiten etablieren sich außerdem Warenwährungen, wie Zigaretten oder Kaffee, wo das Tauschmittel einen eigenen Nutzwert hat.
Alternatives Geld
Wenn der Verbraucher nicht genug Geld hat, um den Leistenden zu bezahlen, bräuchte er doch eigentlich nur mehr Geld? Alle Probleme wären gelöst! Dieser Grundgedanke steckt hinter vielen alternativen Geldsystemen.
Das LETSystem von Michael Linton, der Tauschring Westerwald von Michael Musil, das Regiotauschnetz e.V. von Michael Wünstel und zahlreiche andere Konzepte für Lokalwährung, Komplementärwährungen und Geldexperimente setzen hier an. Sie machen es ihren Mitgliedern leicht, an Geld zu kommen. Beim LETSystem schöpft der Verbraucher Geld, indem sein Konto ins Minus geht. Das Regiotauschnetz hat eine komplexes System der gemeinschaftlichen Geldschöpfung. Der Tauschring Westerwald zahlt seinen Mitgliedern jeden Monat ein "Bürgergeld" aus. Es ist also möglich, Geld als öffentliches Gut in beliebiger Menge "wie Mist"[4] zu verstreuen.
Der Tauschring Westerwald schreibt in seinen Tauschregeln: "Kreditgewährung kann nur vom Leistungserbringer erwartet werden. Kredite sind nicht verzinslich. Kredite sind nicht einklagbar. Kreditvergehen werden primär mit dem monatlichen Bürgergeld befriedigt."[5] Der Leistungserbringer kann also nicht erwarten, für seine Arbeitsleistung eine Gegenleistung zu erhalten. Er wird zwar mittels des Bürgergeldes für seine Arbeit "bezahlt". Aber was ist diese Bezahlung wert? Nichts.
Solche Modelle sind meines Erachtens eine verdeckte Form der Umsonstökonomie. Die Westerwalder Tauschregeln liefern aber auch einen Hinweis, wo der Schlüssel zu einer verbindlichen Wirtschaftsgemeinschaft liegt - beim Kredit.
Kredit
… Mutual Credit System (MCS) [6][7][8] …
… Kreditgenossenschaft, Kreditverein, Zeitbank …
Wechselseitige Kreditverpflichtungen
Die wechselseitigen Kreditverpflichtungen der Mitglieder machen den Tauschring zu einer Allmenderessource. Sie schaffen eine gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit aller Teilnehmer, von der regelbrüchige Mitglieder nur schwer ausgeschlossen werden können. Entweder haben diese als Leistende einen Anspruch auf Gegenleistung erwirtschaftet (Kreditgeber). Oder sie haben als Verbraucher eine Bringschuld (Kreditnehmer). Vor allem der Ausschluss von Schmarotzern würde die verbleibenden Mitglieder besonders hart treffen, weil die Gemeinschaft in irgendeiner Form den Kreditausfall auffangen muss.
Wie müsste ein Tauschring also konstruiert sein, damit sich Kreditnehmer ihrem Leistungsversprechen nicht durch Inaktivität oder Austritt zu entziehen versuchen, sondern ihre Kreditverpflichtungen erfüllen?
Wie lassen sich die Wünsche der einzelnen Mitglieder nach billigem Kredit und billiger Arbeitskraft mit dem gemeinsamen Ziel nach langfristigen Erhalt der Solidargemeinschaft vereinbaren, die den Kredit und die Arbeitskraft bereitstellt und die Erfüllung dieser Wünsche überhaupt erst ermöglicht?
Acht Prinzipien
Elinor Ostrom hat zahlreiche Allmenderessourcen analysiert, die teilweise schon seit Jahrhunderten nachhaltig von einer größeren Gruppe Menschen gemeinsam genutzt werden. Was zeichnet die erfolgreichen Beispiele aus? Elinor Ostrom verdichtet ihre Beobachtungen in acht Gestaltungsprinzipien.[1][2][11]
Wohldefinierte Grenzen
…
Geographisch Begrenzung des Einzugsgebiet für lokale Nachbarschaftshilfe-Tauschringe orientiert sich an lokalen Gegebenheiten und berücksichtigt formelle und informelle Grenzen vor Ort. Alternativ Begrenzung auf Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation, wie einer örtlichen Einrichtung (z.B. döMak) oder einem bereits bestehenden Verein oder Verband.
Regionale Zusammenschlüsse von mehreren Tauschringen ebenfalls entlang allgemein akzeptierter formeller oder informeller Grenzen (z. B. internationale Region des Tauschrings Markgräflerland)
Bei Neulingen Höhe des Kreditrahmens an Bedingungen knüpfen. Zum Beispiel: nur so viel Limit, wie bereits schon mal geleistet wurde. Wer bereits 15 Stunden im Tauschring erarbeitet hat, kann den Wert von 15 Stunden Kredit besser abschätzen. Und er hat schon Arbeit in das soziale Netzwerk investiert, was eine langfristige Bindungsbereitschaft wahrscheinlicher macht.
… Mitgliedschaftsvertrag mit Leistungsversprechen, Teilnahmebedingungen, Satzung, Tauschregeln, klare Regeln für Austritt …
Anreize für langfristige Teilnahme. Hohe Schwelle für Eintritt (etwa durch einmalige Beitrittsgebühr oder aufwändige Aufnahmeprozdur) als Investition, die nicht so schnell abgeschrieben werden soll. Verzicht auf laufende Mitgliedsbeiträge, die gerade die klug haushaltenden Teilnehmer vertreiben. Verschiedene Rituale, äußere Kennzeichen und Anreize, die zwischen "uns" und den anderen unterscheiden. Zugehörigkeit zum sozialen Netzwerk Tauschring als Wert an sich, den niemand gefährden möchte. Aufbau von Reputation.
…
Übereinstimmung der Regeln mit lokalen Gegebenheiten
… Stadt oder Land? Kooperation mit Nachbarschaftsheimen, Sozialeinrichtungen. Teilname nur für Einzelpersonen oder auch für Gruppen, institutionelle Teilnehmer oder Gewerbe? …
Was motiviert Teilnehmer hier zu langfristiger Teilnahme - und damit zur Investition in das gemeinschaftliche Ressourcensystem? Materielle Notwendigkeit? Soziale Bedürfnisse? Andere Bedürfnisse?
…
Gemeinschaftliche Entscheidungsfindung
… Demokratie, Mitgliederversammlung, Satzung, Wahl, Forum, Mailingliste, wöchentlicher Rundbrief/Newsletter, …
In ausführlichen Protokolle alle bisherigen Entscheidungen dokumentieren und diese allen Mitgliedern leicht zugänglich machen.
…
Einhaltung der Regeln überwachen
… Software statt Tauschheft, Pflichten des Vorstands und der Orga genau definieren, Kassenwart, Rechenschaft, Kennzahlen, Mitgliederliste, Transparenz, Dokumentation der Tauschaktivität auf persönlichem Konto, Feedbacksysteme für Tauschverhalten (Bewertung wie bei eBay), …
Abgestufte Sanktionen
… Feedback beeinflusst Reputation unmittelbar. Einschränkung des Kreditrahmens (Limit). Einbehalten von Kaution oder Kredit-Sicherheiten. Notfalls Ausschluss (mit vorheriger gruppeninterner Ankündigung und/oder Abstimmung). Austrittswunsch von Mitgliedern mit offenen Verbindlichkeiten gruppenintern ankündigen und erst nach einer Mindestfrist von X Monaten erlauben. …
Konfliktlösungsmechanismen
… Schlichtungsstelle. Gewaltenteilung zwischen Vorstand, Orga und Mitgliedern. Demokratie. Mitgliederversammlung. …
Anerkennung der Rechte
… Rechtsform, Rechtsfragen, Kleine Anfrage im Bundestag 1997. Verträge mit Vermietern/Nachbarschaftsheim/Patenorganisation zur Festlegung gegenseitiger Pflichten und Rechte. …
Mehrstufige Unternehmungen
… Lokale Tauschringe (first level) haben andere Probleme als regionale (second level) oder gar überregionale Zusammenschlüsse von Tauschringen. Auf jeder Ebene sind andere Regeln notwendig!
- gut: Regionale Kooperation lokaler Tauschringe (Tauschring Markgräflerland, Tauschnetz Elbtal, Tauschringe in der Region Ebersberg, …
- schlecht: entgrenzte Tauschringe Hamburger Tauschringe oder grenzenlose Clearingstellen (RTR)
…
…
…
Sozialismus, Kommunismus, Anarchie
Innerhalb der Tauschringszene gibt es ein breites Spektrum politischer Weltanschauungen. Manche sehen in Tauschringen eine neue Form des Umgangs mit Arbeit. Gleicher Lohn für gleiche Arbeitszeit, unabhängig von der Qualifikation des Tätigen und der Qualität seiner Arbeitsergebnisse, findet sich in einigen sozialistischen und kommunistischen Utopien. Der Wunsch nach einem Netzwerk, wo jeder gleich ist und es keine Führungshierarchien gibt, wird von vielen Anarchisten gefordert.
Einseitig Fordern
Sind Tauschringe also Vorreiter für sozialistische, kommunistische oder anarchistische Eigentums- und Kooperationsformen? Nein. Ganz im Gegenteil! Die größten Probleme von Tauschringen werden durch kommunistische oder anarchistische Herangehensweisen eher verstärkt:
- Die Tätigen (Leistungsgeber, Kreditgeber) werden der Früchte ihrer Arbeit beraubt. Offene Schulden der Untätigen (Verbraucher, Kreditnehmer) werden durch Sozialisierung zwangsweise einseitig auf alle verteilt.
- Autokratie statt Demokratie. Das Fehlen verbindlicher Spielegeln, verbindlicher Rollenverteilung, verbindlicher Verantworungsbereiche und verbindlicher Rechenschaftspflichten führt in der Praxis zur einseitigen Dominanz der gierigsten Einzelperson.
Diese einseitgen Forderungen nach mehr Umverteilung (von den anderen zum Fordernden), nach mehr Rechten (ohne zugehörige Pflichten), nach mehr Geld (ohne dafür zu arbeiten) haben m.E. mit Tauschen nichts zu tun.
Wechselseitig Tauschen
Tauschen beruht auf Gegenseitigkeit. Es braucht keinen neuen Menschen und keine neue Gesellschaftsordnung. Es braucht nur eine eindeutige Entscheidung der Tauschgemeinschaft, welche Tauschkultur sie möchte:
- offene Umsonstökonomie mit einer Kultur freiwilligen, wechselseitigen und großzügigen Gebens und Nehmens - oder -
- Wirtschaftsgemeinschaft mit einer Kultur freiwilliger, wechselseitiger und verbindlicher Kreditbeziehungen, deren Regeln die Begrenztheit der gemeinschaftlichen Ressourcen und die egoistischen Handlungsmotive der Teilnehmer berücksichtigt.
Beides ist Tauschen. Keines von beidem hat etwas mit Sozialsmus, Kommunismus oder Anarchie zu tun. Sowohl in der Umsonstökonomie als auch bei den verbindblichen Wirtschaftsgemeinschaften sind die Mitgliedschaft und Tauschen freiwillig.
In der Umsonstökonomie wird "Tauschen" im weiteren Sinne verstanden. Da es keinen unmittelbaren Anspruch auf Gegenleistung gibt, kann auf eine eigene Währung und ein Kreditverrechnungssystem verzichtet werden. Um das soziale Netzwerk zusammenzuhalten, ist nur ein System zum Erwerb von Reputation nötig.[12] Es kann durchaus sinnvoll sein, persönliche Konten anzulegen, um die getauschten Leistungen zu dokumentieren und gruppenintern zu veröffentlichen. Sie stellen zwar keine Kredite oder Guthaben dar, aber der Einblick in die bisherige Tauschgeschichte des Leistungsnehmers dürfte dem potentiellen Leistungsgeber die Eintscheidung erleichtern, ob und in welchem Umfang er für den anderen arbeiten möchte.
Wer Tauschen im engeren Sinne versteht, erwartet für die eigene Arbeitskraft eine angemessene Gegenleistung. Tauschringe können für eine größere Zahl von Menschen einen nachhaltig verfügbaren sozialen und organisatorischen Rahmen bieten, um einander Arbeitskraft und Kredit bereitzustellen.
Fazit
Tauschringe bieten ihren Mitgliedern Zugang zu billiger Arbeitskraft und billigem Kredit. Wenn der Tauschring langfristig existieren soll und allen Mitgliedern langfristig nutzen soll, braucht es klare Regeln. Wenn man den Tauschring nicht als Wegwerfspielzeug für Sozialutopisten oder als Wohlfahrtseinrichtung ausnutzt, sondern als langfristig wirtschaftlich bedeutungsvolle Allmenderessource gestaltet, kann es sich für alle Beteiligten durchaus lohnen, den notwendigen Organisationsaufwand zu investieren.
Einzelbelege
- ↑ 1,0 1,1 Elinor Ostrom: Governing the Commons. The Evolution of Institutions for Collective Action 1990 Google Books
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Ostrom, E.: Beyond Markets and States: Polycentric Governance of Complex Economic Systems in: Les Prix Nobel. The Nobel Prizes 2009, Editor Karl Grandin, [Nobel Foundation], Stockholm, 2010. online
- ↑ http://de.wikipedia.org/wiki/Gut_%28Wirtschaftswissenschaft%29
- ↑ http://www.tauschring-ww.de/
- ↑ http://www.tauschring-ww.de/neue.htm
- ↑ http://www.shareable.net/blog/the-new-mutual-credit
- ↑ http://www.ratical.org/many_worlds/cc/NMfHC/chp12.html
- ↑ http://www.complementarycurrency.org/helpdesk/linking_mutual_credit.html
- ↑ Schraven, Jorim: Mutual Credit Systems and the Commons Problem: Why Community Currency Systems such as LETS Need Not Collapse Under Opportunistic Behaviour. in: International Journal of Community Currency Research, 2001: Volume 5, ISSN 1325-9547 online
- ↑ Schraven, Jorim (2001), "The Economics of Community Currencies: a Theoretical Perspective", Unpublished Honours Thesis, Oxford University online
- ↑ Cox, M., G. Arnold, and S. Villamayor Tomás. 2010. A review of design principles for community-based natural resource management. Ecology and Society 15(4): 38. online - Enthält die überarbeitete Liste der acht Prinzipien, die Ostrom in ihrer Nobel-Rede zitiert.
- ↑ vgl. etwa http://www.couchsurfing.org/
Glossar
- collective action:
- public good: Öffentliches Gut, Gemeingut
- provider: Bereitsteller
- producer: Produzent
- beneficiary: Nutznießer
- discount rate: Diskontierungsrate
- contingent strategy: bedingte Strategien
- free-rider: Trittbrettfahrer, Schmarotzer