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Harr/Tauschsystemmatrix

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Titel: Die Tauschsystemmatrix

Autor und Copyright: Harald Friz (Berlin), alle Rechte vorbehalten

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Einleitung

Die heutigen Tauschsysteme lassen sich meines Erachtens in vier Gruppen unterteilen. Ich unterscheide dabei:

  • zwischen Tauschringen, die ihre "Tauschwährung" nur als Werkzeug zur Verrechnung - also als Zahlen ohne eigenen Wert - betrachten, und Tauschringen, die sie als Tauschmittel - also wie werthaltiges Geld - behandeln.
  • zwischen Tauschringen, die auf Gegenseitigkeit wert legen - also ein ausgeglichenes Verhältnis von Geben und Nehmen anstreben -, und Tauschringen, die einseitige Beziehungen tolerieren oder gar fördern.

Neu ist bei diesem Schema die Unterteilung in einseitige und gegenseitige Beziehungen. In der Praxis dürften bei den heutigen Tauschsystemen einseitige Beziehungen eher die Regel und gegenseitige Beziehungen eher die Ausnahme sein. Neu ist, dass ich die Einseitigkeit nicht als vernachlässigbare Nebenwirkung ausblende, sondern als wesentliches Merkmal in die Mitte der Betrachtungen stelle. Neu ist die Unterscheidung von Kommunismus und Kommune. Neu ist eine feinere Untergliederung und Zuordnung von geldlosen Wirtschaftsprinzipien wie Beitragen und Schenken (Schenkökonomie) in ein- und gegenseitige Beziehungen.

Die Matrix

Gegenseitig Einseitig

Leistungsverrechnung

Tauschring (im wörtlichen Sinne)

Die Mitglieder gewähren sich gegenseitig zeitlich begrenzten Kredit auf Grundlage eines gegenseitigen Leistungsversprechens.

Z.B. Barter Club

Gefälligkeiten[1]

Freiwilliges Geben ohne Anspruch auf Gegenleistung.

Z.B. Orignales LETS-Modell von Michael Linton (Tauschwährung ausdrücklich nur Maßstab), einige Tauschringe mit überschuldeten Verwaltungskonten, organisierte Nachbarschaftshilfe

Tauschmittel

Lokalwährung

Die Gemeinschaft einigt sich auf ein gemeinsames Tauschmittel. Die Mitglieder bezahlen Waren und Dienstleistungen mit diesem Tauschmittel. Ein Umtausch in andere Währungen (Konvertierbarkeit) ist meist leicht möglich (wenn auch mit einem gewissen Abschlag). Der tatsächliche Wert des Tauschmittels zeigt sich in dem Preis, für den die Mitglieder bereit sind, gesetzliche Währungen (wie Dollar oder Euro), Waren oder ihre Arbeitskraft gegen das Tauschmittel einzutauschen.

Z.B. Regiogeld, Warengeld oder Naturalgeld (wie Zigaretten und Kaffee)

Schneeballsystem[2]

Die Gemeinschaft einigt sich auf ein gemeinsames Tauschmittel. Die Mitglieder bezahlen Waren und Dienstleistungen mit diesem Tauschmittel. Der tatsächliche Wert des Tauschmittels ist schwer zu bestimmen, da eine Konvertierung meist ausgeschlossen ist, Preise (insbesondere für Arbeitskraft) meist festgelegt sind und meist eine ungedeckte Geldschöpfung erlaubt ist. Oft wird einseitiger Konsum ohne Pflicht zur Gegenleistung durch weite Kreditrahmen (Minuslimits) und Auszahlung von Bürgergeld oder Startguthaben gefördert. Erarbeitete Guthaben haben nur innerhalb der Gemeinschaft Bedeutung. Es handelt sich um ein Schneeballsystem, wenn erworbene Leistungsansprüche nicht mehr innerhalb der bestehenden Gemeinschaft eingelöst werden können und die Leistenden nur durch Aufnahme neuer Mitglieder den Verlust ihrer erarbeiteten Ansprüche verhindern können.

Z.B. Einige Tauschringe mit Bürgergeld oder Startguthaben, einige Tauschringe mit überschuldeten Verwaltungskonten, einige Seniorengenossenschaften, einige Zeitbanken(?), RTR(?)

Zum Vergleich: non-monetäre Zugangsregelungen für gemeinsame Ressourcen

Teilen[3]

Die Mitglieder teilen sich Kosten, Verantwortung und Nutzungsrechte für Gemeinschaftseigentum oder ein gemeinsam genutztes wirtschaftliches Gut (z.B. Rãume im Nachbarschaftszentrum, Arbeitskraft des Orga-Teams). Die Nutzung wird über Punktesysteme oder andere nichtmonetäre Regelwerke organisiert.

Z.B. Allmenderessourcen (common pool ressources), Allmende (commons)

Öffentliche Güter (public goods), Commons

Zum Vergleich: gemeinschaftliches Wirtschaften ohne genaue Verrechnung

Gabe[4]

Gaben stiften Beziehungen, Gegengaben stärken sie. Je enger der soziale Verband, umso stärker die Erwartung einer angemessenen Gegengabe.

Z.B. Gastfreundschaftsnetzwerke, informelle Nachbarschaftshilfe

Beitragen[5]

Jeder trägt seinen Teil zum Ganzen bei, egal wie viel er dafür von den anderen zurück erhält.

Z.B. Kommune, Kibbuz, gemeinschaftlich organisierte Feste und Buffets, Putzdienst in Wohngemeinschaften, Familie, Clan

Zum Vergleich: individuelle bzw. gesamtgesellschaftliche Beziehungen ohne (lokale) gemeinschaftliche Verrechnungssysteme

Kommunismus[6]

Marx' Kommunismus ist eine Theorie zur gesamtgesellschaftlichen Neuordnung von Produktion und Konsumtion, die sich trotz zahlreicher Anläufe nie praktisch verwirklichen ließ.


Naturaltausch, Kauf, Leihen

Zeitnaher Tausch oder Ringtausch von gleichwertigen Waren oder Dienstleistungen. Kauf und Verkauf gegen allgemein übliches Zahlungsmittel. Beim Leihen wird ein Gut gegen eine Gebühr auf Zeit bereitgestellt. "Leistungsgerechtigkeit"?

Z.B. Tauschbörsen, Marktwirtschaft

Freigebigkeit (positive Reziprozität)

Persönliches Geschenk ohne Erwartung einer Gegenleistung. Annahme des Geschenks ohne Eingehen einer unmittelbaren Verpflichtung. Vertrauen in ein übergeordnetes Ausgleichsprinzip.

Z.B. Ehrenamt, Philanthropie, Freeconomy, Umsonstladen, Wohlfahrt, Fürsorge


Parasiten [7] (negative Reziprozität)

Einfordern und Nehmen ohne Bereitschaft zur Gegenleistung. "Verteilungsgerechtigkeit"?

Z.B. Kommunismus der Konsumtion, Schnorren, Betteln, Schmarotzen, Zechprellerei, Stehlen, Piraterie

Anmerkungen

  1. Kleinräumige Nachbarschaftshilfenetzwerke für Gefälligkeiten ohne Erwartung von Gegenleistungen, aber mit Dokumentation der Leistungen halte ich für eine sinnvolle Alternative zu üblichen Tauschringmodellen. Vgl. Schwarzarbeit, Gemeinnützigkeit, Schenkökonomie, Benutzer:Harr/Parasiten im Tauschring, Benutzer:Harr/Tauschen oder Schenken?, Benutzer:Harr/Zeitgeber
  2. Das Problem bei Schneeballsystemen sind die unvereinbaren Erwartungen der Teilnehmer. Was die Schmarotzer dem System entnommen haben, steht den Leistenden für verdiente Gegenleistungen nicht mehr zur Verfügung. Bei illegalen Systemen, wie den "Schenkkreisen", ist die moralische Bewertung einfach. Die Organisatoren wecken mutwillig unrealistische Erwartungen bei den Einzahlern. Bei Tauschringen ist die moralische Bewertung schwieriger. Einerseits scheint vielen Organisatoren selbst nicht bewusst zu sein, dass sie ein Schneeballsystem errichten, wenn sie Austritte im Minus oder Schulden auf Gemeinschaftskonten gestatten. Andererseits sind es oft die Leistenden selbst, die Schutzmechanismen wie Pluslimits ablehnen.
  3. Zum Begriff der common pool ressource siehe Elinor Ostrom
  4. Zum Begriff der Gabe siehe Marcel Mauss. Vgl. a. Potlatsch
  5. Vergleiche insbesondere commons-based peer production
  6. Marx' gesamtgesellschaftlicher Kommunismus ist zu unterscheiden von vulgärsozialistischer "Verteilung" (siehe Parasiten) und kleinteiliger "Kommune" (siehe Beitragen)
  7. Zum Begriff des Parasiten siehe Michel Serres. In meinen Artikel "Benutzer:Harr/Parasiten im Tauschring" beschreibe ich ein parasitär motiviertes Transfersystem, das hier im Schema als "Gefälligkeiten" bezeichnet wird.

Tauschregeln anpassen

Die vier unterschiedlichen Tauschsysteme brauchen m.E. unterschiedliche Tauschregeln.

Tauschring, "Leistungs­ver­sprechen" Regiogeld, Naturalgeld Schnee­ball­sys­tem, "Geld­ex­pe­ri­ment" Gefäl­lig­keit, "Zeit­geber"
Verrechnung, gegenseitig Tauschmittel, gegenseitig Tauschmittel, einseitig Verrechnung, einseitig
Offen? Nein Eher Ja Eher Nein Eher Ja Kann auch mit Nichtmitgliedern "getauscht" werden?
Dienstleistungen Ja Ja Ja Ja Können Dienstleistungen und Arbeitszeit abgerechnet werden?
Waren Ja Ja Eher Nein Nein Können Waren mit dem System gehandelt werden? Wie werden sie bewertet?
Zeit-Basis? Eher Nein Nein Eher Ja Ja Nichtmonetärer und nicht-warengebundener Wertmaßstab nötig/hilfreich/möglich?
Euro-Basis? Eher Ja Ja Eher Nein Nein Konvertibiliät in Euro nötig/hilfreich/möglich?
Einheitslohn? Egal Egal Egal Ja Gleicher Stundensatz in Tauschwährung für alle?
Gewerbe?
Gemeinschaftskonten führen Nein Eher Ja Egal Ja Wozu sind GK nötig? Geldschöpfung? Außentausch?
GK überziehen? Nein Nein Egal Ja Wer ist für GK verantwortlich? Welche Folgen hat unverantwortlicher Umgang für die Mitglieder?
Außentausch über GK? Nein Unnötig weil kon­ver­tier­bar in Euro Egal Nein Gemeinschaftsübergreifende Verrechnungssyteme wie RTR?
Mitgliedsbeitrag (monatlich) Nein Eher Ja Egal Nein Was ist der „Beitrag“ überhaupt wert? Welches Verhalten bremst/fördert diese Form des Beitrag?
Aufbewahrungsgebühr Nein Eher Ja Egal Nein Was ist das Aufbewahrte überhaupt wert? Soll Aufbewahren gebremst/gefördert werden?
Umsatzgebühr Egal Eher Nein Egal Nein Was ist der Umsatzanteil überhaupt wert? Soll Umsatz gebremst/gefördert werden?
Konto überziehen erlaubt? Ja Nein Egal Ja Ist es wichtig/wesentlich, ein Mitgliederkonto überziehen zu können?
Beliebig lange? Nein Nein Ja Ja Ohne zeitliche Minuslimits?
Beliebig viel? Nein Nein Egal Ja Ohne betragmäßige Minuslimits?
Austritt im Minus erlaubt? Nein Nein Egal Ja Kann Mitgliedskonto beim Austritt offene Schulden aufweisen?
Bürgergeld Nein Nein Egal Nein Leistungsunabhängige monatliche Auszahlungen?
Startguthaben Nein Nein Egal Nein Leistungsunabhängiges Begrüßungsgeld?